VERBINDEN – Reliefarbeit mit Formen und Symbolen

Zur Einstimmung ein paar Gedanken, die diesem Arbeitszyklus zugrunde liegen.

 

Vor Jahren habe ich das Buch “Formen“ aus der Reihe “Symbole“ von Prof.Dr.Dr. Ingrid Riedel durchgearbeitet – mit viel Freude und Genuss.

 

Nun, nach meinem Augenprojekt, bei dem ich mich über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren (1999-2004) mit der Augenform (Spitzoval) in horizontaler und vertikaler Darstellung befasst habe, ist mir diese Grundform oder Grundhaltung der horizontalen und vertikalen Ausrichtung so nahe gekommen, dass ich unbedingt damit arbeiten wollte.

 

Also begann ich, mich dem Aufbau des gleichseitigen Kreuzes zu widmen. So einfach es sich darstellt mit seiner Vertikalen und Horizontalen, so vieldeutig ist es in seiner Symbolik. Schlagartig wurde mir meine damalige Faszination beim Durcharbeiten des Buches “Formen“ bewusst. Mit grosser Leidenschaft wandte ich mich weiteren Formen wie Kreis, Dreieck, Quadrat und Spirale zu und brachte sie zueinander in Beziehung. Sie begeisterten mich in ihrer einfachen, uralten und immer wieder neuen Gestalt gleichermassen. Diese Symbole nachzuzeichnen, nachzuformen, ihnen nachzuspüren, nachzufühlen, sie zu begreifen und miteinander zu verbinden, das beschäftigte und begleitete mich während fünf Jahren (2004-2009).

 

Als Gestaltungsmaterial wählte ich Ytong, ein Material aus der Baubranche, nicht zu hart und nicht zu weich, leicht porös und weiss. Obwohl ich Farben sehr liebe, sollte diese Arbeit weiss sein, damit Licht und Schatten optimal mit den Formen spielen können.

 

Zur Gestaltungsform als Relief möchte ich doch noch erwähnen, dass ich dagegen ursprünglich eher eine Abneigung hegte. “Weder Fisch noch Vogel“, dachte ich jeweils beim Betrachten von Reliefs. Soll sich der Künstler, die Künstlerin doch entscheiden: Bild oder Skulptur! - Und nun hatte mich das Relief gepackt und nicht mehr losgelassen! Mit einem Lächeln stellte ich fest, dass auch im Relief Verbindung stattfindet, und das war ja mein Arbeitsthema!

 

Die Reliefs entstanden weitgehend ohne Maschinen, weil mich deren Lärm im Arbeitsprozess gestört hätte. Die Geräusche der Handarbeit mit Raspeln verschiedener Stärke und Handsäge empfand ich als stimmige Begleitung. Auch war die dadurch entstehende Langsamkeit ein wichtiger Bestandteil der Arbeit, sozusagen als Gegenpol zur vielerorts vorherrschenden Hektik.

 

Die gesamte Arbeit setzt sich aus zwölf 3er-Gruppen zusammen. Zu Beginn stand das gleichseitige Kreuz und mit der 3er-Gruppe des Spitzovals beendete ich den Zyklus. Auf diese Weise konnte ich meinem vorherigen Projekt “Durchblick – Augen und Steine“ meine Referenz erweisen, war es doch Ausgangspunkt und Impuls für meine Arbeit an den Reliefs.

 

Fotografien der Reliefs und Arbeitsnotizen

Die folgenden Fotos der Reliefs, erstellt von Thomas Triet während der Ausstellung “VERBINDEN“ in der Kapelle des Seminar- und Bildungszentrums ANTONIUSHAUS MATTLI in CH-6443 Morschach, nehmen das spezielle Licht dieses Raumes auf. Durch einen Lichtschacht zwischen Wand und Decke fällt Tageslicht von oben auf die Reliefs. Gleichzeitig reflektiert das Weiss der Reliefs nach oben. Diese Lichtverhältnisse gefallen mir ausserordentlich gut. Sicher liesse sich ein ähnlicher Effekt mit entsprechenden Spots erreichen.

 

Die begleitenden Texte sind während der Arbeit an den Reliefs entstanden. Ich lade Sie ein, liebe Betrachterin, lieber Betrachter, sich ein eigenes Bild zu machen. Lassen Sie die 3er-Gruppen auf sich wirken, durchmessen Sie die Formen mit dem Auge, wandern Sie mit dem Blick entlang an geraden und schrägen Linien, um Rundungen und um Ecken. Erleben Sie die uralte, elementare Kraft dieser Formen und Symbole.

Die vertikale Ausrichtung des gleichseitigen Kreuzes, diese Verbindung von Himmel und Erde, hat für mich neben der Verbindung der Elemente Luft und Erde natürlich auch eine spirituelle Ebene. Das Überirdische trifft sich mit dem Irdischen. Dieser Kraftfluss von oben nach unten, von unten nach oben wirkt im Aussen (Natur) ebenso wie im Innern (Mensch in aufrechter Haltung, “aufgespannt zwischen Himmel und Erde“).

 

Die horizontale Ausrichtung, dargestellt im rechten Relief, zeigt die Ausdehnung nach links und rechts, Verbindung zur Umwelt, zu anderen Menschen. Sie ist mehr im Irdischen verwurzelt. Die waagrechte Bewegung erinnert mich an Landschaftsebenen oder an zwei Menschen im Gespräch, sozusagen “auf gleicher Ebene“.

Mit ihrer ruhigen Ausdehnung in der Mitte des Raumes strahlt die Horizontale für mich Gelassenheit aus.

 

Im gleichseitigen Kreuz (auch griechisches Kreuz genannt) verbinden sich die erwähnten Energien, wobei im Mittelpunkt, wo sich die Linien kreuzen, ein Kraftpunkt entsteht. Das gleichseitige Kreuz (nicht zu verwechseln mit dem Leidenskreuz Jesu) ist ein uraltes Symbol der Verbindung von Gegensätzlichem. Es stellt auch Wegkreuzung dar mit der Möglichkeit einer Richtungsänderung. Die Kreuzarme weisen in die vier Himmelsrichtungen. Die beiden Linien stehen im Gleichgewicht, wobei eine gewisse Spannung entsteht zwischen den beiden Kräften, zum einen die Gespanntheit der Vertikalen, zum andern die Entspanntheit der Horizontalen.

Diagonale, welch ein Unterschied gegenüber der Senkrechten und der Waagrechten in ihrer Dynamik! Schräg, den Raum durchquerend, frech und verwegen fühlt sich die Diagonale an. Bei der Arbeit am Relief war diese Energie des Durchquerens, “querfeldein“, deutlich spürbar. Die Diagonale wählt nicht den kürzesten Weg, kühn erobert sie sich den Raum.

 

Von links unten nach rechts oben zeichnen wir Erfolgslinien. Es geht vorwärts, aufwärts, der Zukunft entgegen. Der Raum wird in zwei Dreiecke geteilt.

Von links oben nach rechts unten, wie es das dritte Relief der Gruppe zeigt, ist eindeutig ein Abwärtstrend festzustellen. Diesem “Abstieg“ haftet etwas Negatives an. Positiv ausgedrückt könnten wir es als “zurück zu Mutter Erde“ bezeichnen.

 

Im mittleren Relief sind beide Linien/Wege zum Andreaskreuz vereint. Wir verwenden dieses Zeichen als Multiplikationszeichen, wir kreuzen damit etwas an oder streichen damit etwas durch. Beim Betrachten des Andreaskreuzes können wir vier Dreiecke ausmachen, deren Spitzen sich in der Mitte treffen.

Wiederum sehen wir das gleichseitige Kreuz mit seiner Verbindung von oben und unten, links und rechts – klare, statische Form. Zusammen mit der quadratischen Begrenzung des Reliefs können wir auch ein Fenster darin sehen, um hinein- oder herauszublicken.

 

Rechts das Andreaskreuz mit seinen Eckverbindungen erinnert eher an ein Hausdach von oben betrachtet. Auch eine einfache Sanduhr können wir darin entdecken oder vier Pfeile, die in die Mitte weisen.

Die Verbindung des gleichseitigen Kreuzes mit dem Andreaskreuz im mittleren Relief ist von universeller Aussagekraft. Die Energien der vier Himmelsrichtungen, die Verbindung von Himmel und Erde sowie die Verbindung von Mensch, Natur und Umwelt sind in einem einzigen Zeichen vereint. Die Form strahlt nach allen Richtungen aus. Gleichzeitig strahlen die Kräfte des Universums zurück und treffen sich in der Mitte.

Im ersten Relief begegnen wir wieder dem gleichseitigen Kreuz. Seine Arme streben vom Zentrum spannungsvoll nach vier Seiten.

 

Wie gegensätzlich dazu zeigt sich das Rund des Kreises im dritten Relief. Sanft gebogen, geschmeidig, kraftvoll geschwungen, füllt er in dieser Darstellung den ganzen Raum aus. Seine grosszügige Rundung vermittelt Weite.

Der Kreis ist ohne Anfang und Ende, wirkt schützend und bergend auf eine elementare Weise.

 

In der Verbindung der beiden Symbole fängt der Kreis das Auseinanderstreben der Kreuzesarme sanft auf und lässt die Kraft ins Zentrum zurückstrahlen. Nach meinem Empfinden laden sich die beiden Formen gegenseitig mit Energie auf. Ein wohltuender Austausch entsteht.

Auch diese 3er-Gruppe beginnt mit dem Kreuz und seiner bekannten Symbolik.

 

Der Kreis im rechten Relief ist auf seine imaginäre Mitte bezogen und wirkt sehr konzentriert. Er kann Geborgenheit vermitteln, aber auch – je  nachdem, ob  wir uns  innerhalb

oder ausserhalb des Kreises befinden – Enge oder das Gefühl, ausgeschlossen zu sein.

 

Die Vereinigung beider Formen verstärkt den Eindruck des Zentrierens. Die Kreuzesarme ragen zwar aus dem kleinen Kreis und “durchkreuzen“ das Runde. Gleichzeitig betonen sie jedoch die gemeinsame Mitte.

Die Spirale rollt sich im ersten Relief von der Mitte nach rechts aus und im dritten nach links ein. Zusammengesetzt ergäben sie eine Doppelspirale, tiefes Symbol eines Menschenlebens, das sich bei der Geburt auszurollen beginnt und in der einrollenden Spirale im Mittelpunkt mit dem Tod endet.

 

Im mittleren Relief  habe  ich  beide Spirallinien ineinander-

geflochten und bei der Arbeit dieser immer     wiederkehrenden Dynamik nachgespürt.Die Spiralbewegung zieht den Blick von links in die Mitte hinein. Dort angekommen nimmt uns die Dynamik in die Gegenrichtung mit auf den Weg nach aussen und ist bereit, sich in einer nächsten Spirale wieder einzurollen. Es kommt mir vor wie ein Atemzug: Einatmen – Atempause – Ausatmen (oder umgekehrt).

Hier dreht sich die Spirale erst nach links aus und im dritten Relief nach rechts ein.

 

Im mittleren Relief sind die Spirallinien wiederum ineinandergeflochten. Der Eindruck erscheint auf den ersten Blick vielleicht identisch mit der nach rechts ausdrehenden Spirale, jedoch ist die Dynamik eine andere.

Die von der Mitte nach rechts führende Bewegung weist symbolisch ins Leben hinein, die linksdrehende Spirale besitzt die Dynamik des sich einrollenden Lebens.

 

Sie “schaut“ in die Vergangenheit, während die rechtsdrehende Spirale in die Zukunft blickt.

Das Dreieck, nach oben weisend, symbolisiert das Element Feuer (dem Männlichen zugeordnet). Die Horizontale, welche rechts und links verbindet, ist ihrerseits mit “dem Oben“ verbunden. Dadurch bekommt das Dreieck etwas Leichtes, Fliegendes, himmelwärts Führendes.

 

Das nach unten weisende Dreieck im rechten Relief symbolisiert das Element Wasser (dem Weiblichen zugeordnet). Es bringt die horizontale Ausdehnung mit der Erde in Verbindung. Durch die Berührung der Dreieckspitze mit dem Boden hat es im wahrsten Sinne

des Wortes etwas Bodenständiges. Die untere Spitze des Dreiecks weist noch weiter in eine imaginäre Unterwelt.

 

Die Verbindung beider Dreiecke im mittleren Relief ergibt einen sechszackigen Stern (altes Vereinigungssymbol weiblicher und männlicher Kräfte). Die Elemente Wasser und Feuer haben ein “rendez-vous“. Beim Betrachten der Form treten je nach Sichtweise einmal der Stern oder dann die beiden Dreiecke in den Vordergrund. Wir haben die Möglichkeit, mit dem Blick “hin- und herzuhüpfen“. Dreiecke können wir auch in den Zacken des Sterns entdecken.

Das auf die Spitze gestellte Quadrat mit seinen diagonal verlaufenden Geraden steht eindeutig verwegener im Raum als das herkömmliche Quadrat im rechten Relief. Dieses wirkt auf mich in seiner Nüchternheit und Abgrenzung   kleiner  als   das  auf   der  Spitze   stehende Quadrat, obwohl die Ausmasse dieselben sind.

Die Verbindung der beiden Formen lässt insgesamt acht Dreiecke bei den Überschneidungen entstehen. Mir gefällt die Kombination der beiden Vierecke, da sich ein reizvolles Zusammenspiel von Ecken und Geraden ergibt.

Der grosszügige, weite Kreis  steht in starkem Kontrast zum Viereck. Geschmeidig füllt er den ganzen Raum aus.

 

Das kleine Quadrat im rechten Relief vermittelt positiv gesehen Konzentration, Klarheit und Schutz, negativ betrachtet Einengung. Es haftet ihm durchaus etwas “Kleinkariertes“ an.

In der Verbindung entsteht in meinen Augen zwischen den beiden Formen ein “zärtlicher“ Austausch. Wohl stösst das Quadrätchen spitz an die Innenseite des Kreises. Dieser ist jedoch kein fragiler Luftballon. Er hält dem neckischen “Stupfen“ der Quadratecken seine natürliche, runde Kraft entgegen.

Der Kreis im ersten Relief wirkt organisch und auf die Mitte konzentriert. Für mich strahlt er Gelassenheit aus, sagt einfach: “Da bin ich“. Er braucht sich nicht durch Ecken zu schützen.

 

Das grosse Quadrat rechts erinnert mich an den Grundriss eines stattlichen Hauses. Es erscheint grosszügig, aber seine geraden Seiten und spitzen Ecken grenzen klar ab.

Im mittleren Relief umschliesst das Quadrat den Kreis wie ein Rahmen. Der Kreis füllt diesen Rahmen voll aus. Er nutzt den vorgegebenen Raum und stösst dabei an die geraden Linien des Quadrats. Der Rahmen kann einengen, aber auch schützen. Zudem kann die Verbindung beider Formen jeweils die Eigenart der anderen betonen.

Mit der Form des Spitzovals schliesst sich der Kreis meiner fünfjährigen “künstlerischen Wanderung“. Ich kann nicht anders als dieses mir liebgewordene Symbol in den “Reigen“ aufzunehmen, war es doch Ausgangsimpuls für meine Beschäftigung mit der senkrechten und waagrechten Ausrichtung, die zusammen das gleichseitige Kreuz ergeben.

 

Das senkrechte Spitzoval symbolisiert für mich Durchgang bei Geburt und Tod gleichermassen. Sind doch die meisten Menschen bei der Geburt real durch eine  solche Öffnung  geglitten, könnte ich mir  vorstellen,

dass beim Sterben unsere Seele – symbolisch gesehen – durch eine solche Öffnung in die geistige Welt eingeht.

 

Im rechten Relief gleicht das Spitzoval in seiner waagrechten Darstellung dem menschlichen Auge. Die Form strahlt für mich eine natürliche Eleganz aus. “Weitblickend“ nutzt sie den ganzen waagrechten Raum.

 

Miteinander verbunden ergibt sich das Bild einer stylisierten Blume. In der Mitte bildet sich durch die Überschneidung der Formen ein quadratisches Kraftfeld. Die leicht nach aussen gebogenen Seiten wirken auf mich wie ein kraftvolles Einatmen.

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